Strompreisschock: Börsensystem ist Teil der Ursache

Privathaushalte und Unternehmen leiden unter den aktuell hohen Energiepreisen, und insbesondere die leitungsgebundenen Energieträger Strom und Erdgas sind Vorreiter bei dieser Preisrallye. Die Ursache dafür liegt einerseits in teuren Öl-, Kohle- und Erdgasimporten, andererseits aber in der Systematik der Preisfindung an unseren Energiebörsen: Die sogenannte Einheitspreisauktion beschert beispielsweise Kraftwerksbetreibern im Stromsektor einen maximalen Ertrag – den meisten sogar Gewinnsteigerungen von mehreren 100 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung ist das ein offensichtlich absurdes System“, beklagt Wirtschaftsingenieur Wilhelm Stock. „Die Bundesregierung muss hier schnell handeln und die bestehende Energiepreisbildung aussetzen.“ Gewinnmargen dieser Größenordnung erscheinen vollkommen unverhältnismäßig und richten enormen volkswirtschaftlichen Schaden an, erklärt der Aufsichtsratsvorsitzende der Energie-Admin AG in Hannover, die deutschen Verbraucher könnten um mehrere Milliarden Euro monatlich entlastet werden.

System mit vielen Tücken

Bei der Einheitspreisauktion legt die teuerste, zur Bedarfsdeckung noch benötigte, Kilowattstunde den Endpreis fest. Auch wenn die Verkaufsgebote der übrigen Anbieter günstiger waren, erhalten alle den Preis der teuersten Kilowattstunde, den sogenannten Einheitspreis. Aktuell geben Gaskraftwerke den höchsten Strompreis vor. Gaskraftwerke sind flexibel einsetzbar und dienen dazu, Lastspitzen in der Energieversorgung auszugleichen. Sie erfüllen damit eine wichtige Aufgabe, aber ihr Anteil an der Gesamtstromerzeugung ist eher gering. Laut statistischem Bundesamt decken Gaskraftwerke weniger als zehn Prozent des Gesamtstrombedarfs. Dennoch sind sie zu 90 Prozent für die aktuelle Preissteigerung verantwortlich. Die Folge: Für das kommende Quartal kostet der Strom an der deutschen Terminbörse aktuell mehr als 40 ct/kWh gegenüber 4 ct/kWh vor einem Jahr – eine Preissteigerung um das Zehnfache. Dass primär die Preisfindung über Einheitspreisauktionen als Preistreiber wirkt, verdeutlicht ein Blick auf die Entwicklung der Rohstoffpreise: „Auch Braun- und Steinkohle haben sich deutlich verteuert, aber die Gas- und Strompreise sind explodiert“, erklärt Sebastian Igel, Vorstand der Energie-Admin AG. „Brennstoff-Preissteigerungen insgesamt haben sich nur auf rund 40 Prozent der Gesamtstromerzeugung ausgewirkt.“

Auf den Punkt gebracht: Zur Deckung des Gasbedarfs müssen aktuell zusätzliche Mengen zu historisch hohen Preisen aus dem Ausland beschafft werden. Der Preis dieser Mengen infiziert über den beschriebenen Börsenmechanismus alle Gasmengen mit einem volkswirtschaftlich unnötig hohen Preis. Weil die Gaskraftwerkbetreiber auf dieses im Grunde überteuerte Gas zurückgreifen, ist deren Strom extrem teuer. Dieser extrem hohe Strompreis infiziert dann seinerseits den börslichen Strompreis, der dann wieder für alle Mengen Gültigkeit hat. „Der Einheitspreis-Effekt potenziert sich somit und treibt die aktuellen und zukünftigen Energierechnungen für Strom und Gas aller industrieller, betrieblicher und privater Verbraucher in nie gekannte Höhen“, beobachtet Wilhelm Stock. „Das Geld wird dabei nur zu einem kleinen Teil für zusätzliche Energiebeschaffungen aus dem Ausland eingesetzt, zumal große Teile des deutschen Brennstoffbedarfs über langfristige und preisstabile Kontrakte gedeckt sind. Der Großteil der Kosten bleibt im System Energiebörse hängen.“

Das Marktdesign schnell reformieren, Systemfehler eliminieren

Spätestens mit Ausbruch des Ukraine-Krieges besteht eine elementare Ausnahmesituation, die ein Eingreifen des Staates verlangt, fordern die Energieexperten aus Hannover. Der Gaspreis hat sich vom Energiemarkt vollkommen entkoppelt und die Schwächen der Börsenpreisfindung gnadenlos offengelegt – das Marktdesign muss sofort ausgesetzt und mittelfristig reformiert werden. So könne man sich beispielsweise im Strombereich am sogenannten Pool-Modell orientieren, bei dem die Erzeugungseinheiten zentral gesteuert und eine Art Mischpreis ausgelobt wird. Länder wie Kanada, Australien, Neuseeland oder Teile der USA praktizieren diese Form bereits. In der jetzigen Notlage ist jedoch ein kurzfristiges und beherztes Eingreifen in den Energiemarkt seitens der Bundesregierung notwendig. „Wenn das bestehende System für einen begrenzten Zeitraum von vielleicht zwei Jahren ausgesetzt wird, ist eine schnelle Entlastung aller Strom- und Gasverbraucher möglich“, weiß Sebastian Igel und stellt folgende Handlungsvorschläge zur Diskussion:

  • Betreiber von AKW, EE-Anlagen (in der Direktvermarktung) und Pumpspeicherwerke erhalten den Durchschnittpreis, den sie für ihren Strom in der ersten Jahreshälfte 2021 erhalten haben.
  • Für Betreiber von Gas-, Stein- und Braunkohlekraftwerken gilt das Vorgenannte zuzüglich eines Preisausgleichs für gestiegene Brennstoffpreise.
  • Die in Deutschland ansässigen Stromerzeuger werden verpflichtet, Strommengen wie bisher zu erzeugen und auf Basis dieser Preise abzugeben. Ein Verkauf ins Ausland ist untersagt.
  • Der Markteingriff gilt zunächst bis Ende 2023.

Die Energieexperten der Energie-Admin AG sind sich darüber bewusst, dass ein so weitreichender Eingriff des Staates in den Energiemarkt eine Zäsur darstelle, die mit diversen rechtlichen Hürden verbunden wäre. Auch sei ihr Vorschlag sicherlich nicht die beste aller Lösungen, man wolle vorrangig auf den Systemfehler hinweisen und eine breite Debatte anstoßen. „Aber jetzt ist nicht der Augenblick für lange Diskussionen“, mahnt Energierechtler Sebastian Igel. „Trotz möglicher Schadenersatzklagen muss die Bundesregierung schnell handeln.“

Strom- und Gashandel in der Krise

Im Zuge der europäischen Liberalisierung der leitungsgebundenen Energiemärkte wurden Anfang der Jahrtausendwende die Energiebörsen ins Leben gerufen, die sich mittlerweile in Europa etabliert haben. Wilhelm Stock fragt: „Was in aller Welt hat Vorreiter Deutschland da geritten?“ Eine Börse eigne sich für Märkte, bei denen Angebot und Nachfrage elastisch sei – also die Nachfrage nachgibt, wenn der Preis steigt. Dies sei zum Beispiel bei Aktien der Fall, die man in sein Portfolio aufnehme – oder eben nicht. Oder bei Schweinefleisch, bei dem ein höherer Preis die Nachfrage sinken lasse, weil Verbraucher dann zu anderen Fleischarten wechseln, oder auf den Konsum von Fleisch ganz verzichten. Aber Strom und Erdgas an einer Börse handeln? „Die elementaren Wirkprinzipien von Angebot und Nachfrage sind aufgrund der fehlenden Nachfrageelastizität gar nicht gegeben“, bemerkt Stock. Kaum jemand könne seinen Strom- und Gasbedarf spontan reduzieren oder substituieren, schon gar nicht die Wirtschaft. „Die Börse ist wie ein Trojaner, den wir uns von den Energieanbietern / Erzeugern seinerzeit haben einpflanzen lassen“, so Stock. „Eine Reform ist dringend nötig.“ Mit Gegenwind der Profiteure müsse man rechnen – Anteilseigner der Strombörse seien schließlich die Stromproduzenten und Anbieter selbst. Dass sich an den Marktplätzen zudem auch zahlreiche Banken tummeln, untermauere nur die Goldgräberstimmung im System Energiebörse.

Was können Sie tun? Fordern Sie die Bundestagsabgeordneten in Ihrem Wahlkreis zum Handeln auf! Einen Vorschlag für ein entsprechende Anschreiben finden Sie hier:

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